Digitalisierung
08.03.2021
Apps aus der Praxis für die Praxis
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Optimierung der Therapieprozesse
Zwei Physiotherapeuten, die aktiv in ihrem Beruf stehen, machten sich nicht nur Gedanken über eine Betreuung der Patienten über die ärztlich verordnete Behandlung hinaus, sondern hatten zusätzlich den Blick auf die Herausforderungen der Zeit, mit denen sich Physiotherapeuten auseinandersetzen müssen: Fachkräftemangel, Zeitmangel und fehlende Budgets der Verordner.
Die beiden ausgebildeten Physiotherapeuten, Christoph Kaminski und Sami Othman, entschlossen sich sehr früh, die Digitalisierung zum Nutzen aller am Prozess Beteiligten einzusetzen. Ihre Erfahrungen in Therapie, Training und Forschung ließen sie in das Themenfeld Bewegung und Digitalisierung einfließen. Bereits 2017 reifte ihre Idee heran, die Therapieprozesse zu verbessern – zugunsten der Physiotherapeuten, der Patienten und der Ärzte.
So ist es nur konsequent, was dann folgte: Sie entwickelten Gesundheits-Apps und gründeten das Unternehmen „Better Physio“ in Essen. Ihr erklärtes Ziel: für einen nachhaltigen Therapieansatz die menschliche Expertise des Therapeuten mit digitaler Physiotherapie zu verbinden und zu kombinieren. TT-DIGI unterhielt sich mit den beiden Gründern über die Anfänge und die derzeitige Entwicklung.
TT-DIGI: Sehr geehrter Herr Kaminski, sehr geehrter Herr Othman, wann gründeten Sie das Unternehmen und seit wann gibt es Ihre Gesundheits-Apps auf dem Markt?
Sami Othman: Tatsächlich starteten wir schon 2017 mit der Idee und entwickelten einen ersten Prototyp, den wir ab 2018 in eigener Praxis testeten. Wir merkten, dass wir mit dem Thema sehr früh dran sind, denn die Verbindung von Medizin und Digitalisierung schien für viele im Alltag noch sehr neu. Jedoch sieht man hier jetzt Veränderungen in der Wahrnehmung.
Christoph Kaminski: Durch die ersten Tests mit unserem Prototyp in der Arbeit mit Patienten haben wir viel gelernt und darauf basierend die ersten marktreifen Versionen gebaut. Anfang 2020 sind wir mit diesen auf den Markt gegangen.
TT-DIGI: Wie entstand denn Ihre Idee?
Christoph Kaminski: Durch die Zusammenarbeit mit Patienten, Therapeuten und Ärzten in der eigenen Physiotherapie-Praxis sind uns immer wieder ähnliche Probleme im Therapiealltag aufgefallen, die uns gestört haben. Bezogen auf die Organisation sind das zum Beispiel fehlende Ressourcen in der Therapiezeit oder abrupte Stopps des Behandlungsverlaufs durch fehlende Verschreibungen. Hinzu kommen immer wiederkehrende Muster in Behandlungsverläufen. Patienten tragen häufig selbst wenig zum Behandlungserfolg bei. Wenn die Therapie abgeschlossen ist oder zu Ende geht, wissen Sie nicht, welche Maßnahmen sie fortsetzen sollten, um den Therapieerfolg langfristig aufrechtzuerhalten. Mit unseren Apps lassen sich Therapiepfade mit nachhaltigerem Erfolg für die Patienten darstellen. Gleichzeitig werden Probleme, wie Knappheit der zeitlichen Ressourcen im Alltag oder Budgetbeschränkungen der Ärzte, positiv beeinflusst.
Sami Othman: Wir wollten die Therapieprozesse für alle Beteiligten optimieren. Der Therapeut bekommt Unterstützung und kann seine Zeit vor Ort besser nutzen. Der Patient weiß während und nach der Behandlung, wie er den Erfolg aufrechterhalten kann. Die übergeordneten Ziele sind vor allem die Nachhaltigkeit der Therapie und die aktivierende Integration des Patienten in den Behandlungsprozess. Der Patient soll aus der Therapie entlassen werden und gelernt haben, was er unabhängig von Therapeut oder Arzt für sich tun kann.
TT-DIGI: Gab es durch die Corona-Pandemie einen Schub nach vorne?_(1).jpg)
Christoph Kaminski: Wie schon erwähnt war das Thema zu Beginn sehr neu für alle Beteiligten. Jedoch zeigt die Entwicklung, dass Digitalisierung und Medizin in Zukunft zusammengehören. Durch das Krankenhauszukunftsgesetz und das Digitale-Versorgung-Gesetz wurde politisch einiges nach vorne gebracht.
Sami Othman: Corona hat natürlich gezeigt, dass digital viel mehr positiv läuft, als zunächst gedacht. Stichwort: Homeoffice und Homeschooling. Bezogen auf digitale Gesundheitsanwendungen gab es nur im ersten Lockdown März/April einen kurzfristigen Schub. Hier wurden Videobehandlungen in der Physiotherapie zugänglich gemacht. Man muss jedoch sagen, dass es nach dem Lockdown relativ schnell wieder in die alten Muster überging.
TT-DIGI: Ihre Apps drehen sich um orthopädische Beschwerdebilder und um Fußballverletzungen? Wie kam es dazu?
Christoph Kaminski: Das hängt einerseits mit unserem akademischen Hintergrund sowie dem therapeutischen Alltag zusammen, die in der Orthopädie sowie Sportmedizin liegen. In der eigenen Physiotherapie-Praxis sind wir auf den Bewegungsapparat spezialisiert. Dazu kommt meine Tätigkeit als Präventions- und Reha-Trainer im Profifußball. Seit 2002 im Nachwuchsleistungsbereich und von 2015 bis 2019 bei Schalke 04, wo wir ein nachweislich wirksames Präventionskonzept in den Verein brachten. In diesem Zeitraum konnte die Verletzungsstatistik massiv verbessert werden. Seit 2019 bin ich als Individualtrainer von Leon Goretzka (FC Bayern München) unterwegs. Die Inhalte aus der täglichen Arbeit sind in unsere Produkte eingeflossen.
TT-DIGI: Welche Vorteile stehen für die Physiotherapie-Praxen und für gesundheitsorientierte Fitness-Studios im Vordergrund?
Sami Othman: Die klaren Vorteile liegen zunächst in der Prozessoptimierung. Der Therapeut gewinnt mit dem digitalen Tool mehr Zeit vor Ort und der Patient wird aktiv eingebunden. Er trägt selbst zum Behandlungserfolg bei, er wird danach nicht alleine gelassen und kann zum Beispiel bei Therapieabbruch oder späterer Fortsetzung die Zeit dazwischen mit der digitalen Begleitung „überbrücken“. So werden Behandlungserfolge wesentlich nachhaltiger und die Therapie findet nicht „am“, sondern „mit“ dem Patienten statt.
TT-DIGI: Welche Apps haben Sie in der Pipeline?
Sami Othman: Derzeit haben wir mit Nola und Lio unsere beiden Apps für die Orthopädie und für den Fußball. In Planung ist aktuell eine Therapeuten-App, mit welcher der Therapeut die Möglichkeit hat, das Training mit Nola und Lio durch seine Maßnahmen zu ergänzen. So wollen wir den Prozess noch weiter optimieren und Therapeuten mehr Individualität der Nutzung bieten.
Christoph Kaminski: 2021 gehen wir eine Kooperation mit mDoc, einem Smart-Hospital-Anbieter, ein. Wir werden gemeinsam Lösungen für den Krankenhaus- und Rehabilitationsbereich nach OP entwickeln. Außerdem werden wir Nola im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes verschreibungsfähig machen, so dass Nola dem Patienten vom Arzt verschrieben werden kann.
TT-DIGI: Sie haben das Motto: Neue Wege gehen. Wie sieht die Zukunft der digitalen Physiotherapie aus?
Sami Othman: Wir glauben, dass in Zukunft die Experten des Gesundheitssystems, wie Therapeuten und Ärzte, tagtäglich mit digitalen Tools arbeiten werden. Wir glauben aber auch, dass der einzelne Mensch immer der Experte und Hauptansprechpartner bleiben wird und auch bleiben sollte. Die digitale Physiotherapie bietet die Möglichkeit, die Prozesse zu optimieren und den Patienten besser zu begleiten. In der Therapie von morgen muss der Patient nicht durchgehend vom Physiotherapeuten passiv behandelt werden. Der Therapeut wird mehr eine Art Coach sein, der den Patienten in einen optimalen aktiven Prozess begleitet und seine passiven Techniken nur noch dann nutzt, wenn Sie wirklich notwendig sind. Kurz gesagt: der neue Weg führt zu mehr Selbstwirksamkeit.
TT-DIGI: Vielen Dank und alles Gute für die Zukunft.
Das Gespräch führte Reinhild Karasek.
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